Session 24 – Eine außerordentliche Ehre

Die Luft in den Gewölben des Kleinberg Estates war kalt und schwer, angereichert mit dem metallischen Geruch von Verderbnis und einer dünnen Spur von Feuchtigkeit, die aus den tiefen Felsen sickerten.

Vor ihnen lag die Höhle aus einem unterirdischen See aus Deleriumschlacke. Die Oberfläche glühte in einem unnatürlichen, violetten Licht und brodelte leise, als ob etwas Lebendiges sich darunter bewegte. Über dem See schwebte ein massiver, pulsierender Kokon, dessen Oberfläche aus einer fleischigen, fast transparenten Haut bestand. Adern zogen sich durch das Gebilde und schimmerten in einem giftigen Blau, als ob eine dunkle Energie durch sie hindurchströmte.

„Das ist es“, sagte Thamanea leise und ihre Stimme trug sich über den düsteren See. „Das Herz dieser Verderbnis.“

Crois, sein Gesicht von der Nähe zur Delerium-Schlacke bereits leicht verfärbt, nickte und hob seine Feuerlanze. Mit einem gezielten Feuerstoß traf die brennende Energie den Kokon. Die Flammen fraßen sich durch die Schichten des Gebildes, bis es in einem Schwall aus fauligem Rauch und zischender Flüssigkeit zusammenbrach. Die Schlacke unter ihnen brodelte noch heftiger, als ob sie den Verlust des Kokons beklagte, dann beruhigte sich die Oberfläche allmählich wieder.

Nachdem der Pale Man hoffentlich endgültig zerstört war, kniete Thamanea neben dem leblosen Körper des von ihm, der noch immer auf dem feuchten Boden der Höhle lag. Seine Haut war grau und ledrig, sein einst menschliches Gesicht zu einer Fratze aus Verzweiflung und Wut verzerrt. Thamanea murmelte die Worte eines Totensprech-Zaubers, und ein kühles Leuchten ging von ihren Händen aus. Die Luft schien zu erstarren, als die Magie sich ihren Weg bahnte, aber die Lippen des Pale Man öffneten sich nur zu einem leisen, gehauchten Zischen. Thamanea kniff die Augen zusammen, ihre Stirn in tiefen Falten. „Er sagt nichts, nichts von Bedeutung. Nur Schatten und Wahn.“

Die Gruppe beschloss, die Gewölbe zu verlassen und das Anwesen des Pale Man zu durchsuchen, in der Hoffnung, auf etwas Greifbareres zu stoßen. Sie bewegten sich durch die verfallenen Gänge, und jede Tür, die sie öffneten, enthüllte Räume voller verstaubter Bücherregale und Alchemie-Utensilien, die noch vor kurzem verwendet wurden. Noita, ihre Augen wachsam, sammelte hastig die Papiere und Pergamente ein, die noch intakt waren. Die Schrift darauf war in einer kryptischen, dunklen Sprache verfasst, doch sie spürte die Macht, die darin lag – und das Wissen, das sie für sich und die Akademie beanspruchen wollten.

Als sie schließlich das Erdgeschoss des Anwesens erreichten, zogen sie den Patch der Robe der nützlichen Dinge hervor – ein Stück verzauberten Stoffes, das sie an die Wand setzten. Im selben Moment entstand aus dem Nichts ein magisches Fenster, das sich durch die Wand schnitt und einen Ausgang in die stürmische Dunkelheit Drakkenheims bot. Einer nach dem anderen schlüpften sie hindurch, die Kälte des Nebels umfing sie wie ein formloses, hungriges Wesen.

Als sie im Schutz des Nebels um das bröckelnde Anwesen herum navigierten, blieb Noita stehen und wandte sich an die anderen. „Der Pale Man hatte Pläne“, begann sie und hielt das dicke Bündel aus Papieren fest an ihre Brust gedrückt. „Er wollte das Nexus im Inscrutable Tower erreichen.“

Funkenflug, dessen Augen stets voller lebhafter Neugierde waren, blinzelte. „Was ist das Nexus?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete Noita und schüttelte den Kopf. „Aber es scheint wichtig zu sein. Ohne ein lebendes Mitglied der Amethyst Academy ist der Turm jedoch unzugänglich – zumindest offiziell.“

Thamanea runzelte die Stirn, während sie die Silhouette des Inscrutable Tower in der Ferne betrachtete. Der Turm ragte wie eine Nadel in den Himmel, seine obsidianen Wände glatt und unnahbar, als ob sie aus purem Schatten bestünden. Inmitten der trüben Wolken schimmerte ein Riss im oberen Drittel des Turms – die Wunde eines Meteoriteneinschlags, der den Turm geteilt hatte. Trümmerstücke, eingefroren in der Luft wie Blätter in Bernstein, schwebten in der gähnenden Leere zwischen den beiden Turmhälften. Fragmente von Delerium glitzerten in der Ferne, und aus den Scherben schienen einzelne Bücher und magische Artefakte zu schweben, als ob sie darauf warteten, von neugierigen Augen entdeckt zu werden.

„Vielleicht könnten wir durch das Loch hineingelangen“, murmelte Crois und legte nachdenklich eine Hand auf den Griff seiner Waffe. „Wenn wir fliegen könnten…“

Die Gruppe nahm sich diesen Gedanken zu Herzen, doch zuerst wollten sie sich um die Schwarzwurzel kümmern, die sie Cal versprochen hatten. Als sie die Apotheke in der Nähe von Queen’s Park erreichten, umfing sie der vertraute, beißende Geruch von Kräutern und alchemischen Tinkturen. Doch in der Tür stand eine Frau, die das Licht der Laterne in langen Schatten warf. Ihre Augen funkelten kühl, und ihre Haltung war stolz, als sie sie ansprach.

„Die Queen of Thieves erwartet euch in Buckledown Row“, sagte die Fremde und ihre Stimme klang wie ein Flüstern im Nebel. „Sie hat eine Botschaft für euch.“

Die Gruppe hörte ihr aufmerksam zu, ließ sich jedoch nichts anmerken. Stattdessen lenkte Noita das Gespräch auf die Schwarzwurzel. Die Frau, die sich als Rose Carver vorstellte, zog eine kleine, verdorrte Wurzel aus ihrer Tasche und verkaufte sie den Lyres. Mit einem letzten, bedeutsamen Blick verschwand sie im Nebel, und die Gruppe machte sich wieder auf den Weg zur Garnison der Hooded Lanterns.

In der Garnison angekommen, wurden sie von den patrouillierenden Wachen begrüßt. Crois wurde von einer Gruppe Hooded Lanterns abgefangen, die ihm mitteilten, dass Lord Commander Elias Drexel nach ihm verlangt hatte. Crois folgte den Soldaten in den Besprechungsraum, wo Drexel ihn mit ernster Miene empfing.

„Crois, deine Dienste haben bewiesen, dass du zu Größerem berufen bist“, erklärte Drexel und reichte ihm eine polierte Gleve, die in den Händen des Commanders einen trüben Schein warf. „Von heute an bist du Lieutenant der Hooded Lanterns.“

Crois nahm die Gleve entgegen, sein Herz schlug schneller, doch er hielt seine Miene fest. Es war eine Ehre, aber auch eine Last, und er wusste, dass die kommenden Tage nur noch schwieriger werden würden.

Währenddessen begaben sich Thamanea, Funkenflug und Noita zu Cal, um ihm die Schwarzwurzel zu überreichen. In den düsteren Mauern der Garnison, wo die Kälte des Steins stets gegen die Flammen der Kamine ankämpfte, braute der zwergische Priester aus der Wurzel heilende Elixiere und half den Gefährten, die Kontamination aus ihren Körpern zu ziehen. Die Prozedur war schmerzhaft, als ob Dornen unter die Haut fahren würden, aber die Lyres hielten durch.

Später, in der Stille der Nacht, saß Noita bei Kerzenlicht und erstellte eine Abschrift des Zauberbuchs des Pale Man. Ihre Finger glitten über die Seiten, und während sie die Worte schrieb, spürte sie, dass dieses Wissen mächtig und gefährlich war – und dass sie und Thamanea es vielleicht zu ihrem Vorteil nutzen könnten.

Der Tag begann mit einem düsteren Sonnenaufgang, der das Licht durch die dichte Wolkendecke des unheilvollen Drakkenheims drückte. Innerhalb der Mauern der Garnison der Hooded Lanterns standen die Darkk Lyres zusammen mit dem Lord Commander Elias Drexel. Sein Gesicht war ernst, seine Augen hart wie das Eisen seiner Rüstung. Das Schicksal der kommenden Nacht lastete schwer auf allen Anwesenden.

„Die Kathedrale von Saint Vitruvio“, begann Drexel, seine tiefe Stimme hallte durch den Raum, „wir müssen sie heute Nacht einnehmen, bevor die Silver Order ihren Angriff auf Temple Gate startet. Die Garmyr sind in der Nacht weniger zahlreich, sie sind draußen in der Stadt auf der Jagd. Das ist unsere Chance.“

Der Plan wurde mit militärischer Präzision geschmiedet. Ansom Lang, Anführer der Vanguard, würde mit seinen Soldaten die Garmyr aus ihren Lagern herauslocken und sie in einen Hinterhalt treiben. Scouts der Hooded Lanterns würden sich auf den Dächern postieren, verborgen in der Dunkelheit, um aus der Höhe herab auf die Bestien zu schießen. Die Darkk Lyres würden zusammen mit Drexel selbst vorrücken und in die Kathedrale eindringen, um den Anführer der Garmyr, den gefürchteten Lord of the Feast, zu stellen und zu töten.

Noita und Thamanea wechselten einen Blick. Funkenflug grinste, während Crois mit einem Nicken seine Zustimmung bekundete. Es war ein gefährliches Unterfangen, aber in Drakkenheim hatte jedes Wagnis seinen Preis – und jede Entscheidung ihre Konsequenzen.

Die Nacht war noch jung, als die Kapuze des Schicksals über die Kathedrale von Saint Vitruvio fiel. Die breiten Kopfsteinpflasterstraßen um die Kathedrale waren in das fahle Licht des Mondes getaucht, das sich in den zahlreichen Pfützen sammelte, die sich auf den unebenen Steinen gebildet hatten. Das gewaltige Gebäude ragte über ihnen auf, seine steinerne Fassade mit grotesken, halb zerfallenen Statuen und biblischen Szenen geschmückt. Die imposanten Türme, die den Himmel durchbohrten, standen wie stumme Zeugen des Chaos, das hier herrschte.

Vor den gewaltigen, goldenen Doppeltüren, die einst Heilige und Gläubige eingelassen hatten, waren improvisierte Barrikaden errichtet worden. Davor erstreckte sich ein Feld aus hoch aufragenden Holzpfählen, an denen Schädel und abgetrennte Gliedmaßen wie makabre Trophäen baumelten. Ein übler Gestank von Verwesung und Tierblut hing in der Luft, mischte sich mit dem süßlich-beißenden Dunst des Deleriums, das die Stadt umnebelte. Ihre Atemzüge wurden zu weißen Wolken, während sie sich in Position begaben.

Die Vanguards stürmten als erste voran. Ein Kriegsgeheul erklang, als Ansom Lang und seine Männer die Garmyr provozierten, herausforderten und lockten. Wie wilde Hunde brachen die Kreaturen aus ihren Lagern hervor. Ihre hageren, zotteligen Körper bewegten sich mit brutaler Geschwindigkeit, die Augen rot glühend im Dunkeln. Das Geheul der Bestien erfüllte die Nachtluft, und es dauerte nicht lange, bis die ersten Pfeile von den Dächern aus herabschossen, ihre Spitzen blitzend im Mondlicht.

Die Darkk Lyres und der Lord Commander nutzten die entstehende Verwirrung, um durch die Barrikaden zu brechen. Funkenflug war ein Schatten, der sich durch die Finsternis bewegte, während Thamanea die Gruppe mit Schutzzaubern stärkte. Noita folgte dicht hinter ihnen, die Finger bereit, arkanen Zorn zu beschwören, während Crois mit grimmiger Entschlossenheit die Waffe festhielt, die ihm Drexel überreicht hatte.

Die Kathedrale, einst ein Ort des Friedens, hatte sich in ein Schlachthaus verwandelt. Der Innenraum war entweiht – wo früher Heilige und Märtyrer an den Wänden gemalt waren, klafften nun Wunden in den Fresken, wo die Garmyr ihre Krallen hineingerissen hatten. Das monumentale Gewölbe war erfüllt von einem gespenstischen Licht, das durch die farbigen Fenster drang und die heiligen Szenen in unnatürlich leuchtenden Farben erscheinen ließ.

In der Rotunde, dem Herzen der Kathedrale, stand der Lord of the Feast. Über zwölf Fuß groß, mit blassgelbem, verfilztem Fell, das in Blut getränkt war. Seine Rüstung, ein Flickwerk aus Leder und Metall, funkelte im kalten Licht der Sterne. An seinem Gürtel baumelten Trophäen – mumifizierte Köpfe und abgetrennte Gliedmaßen, die sich bei jedem seiner Schritte grotesk hin und her schwangen. Seine Augen waren glutrot und voller Hass. In seinen Klauen hielt er einen gewaltigen Bogen, bespannt mit dicken Sehnen, und auf seinem Rücken steckten Pfeile, die mit Delerium gespickt waren und im Licht unheilvoll funkelten.

„Da ist er“, zischte Drexel. „Auf eure Positionen!“

Ein Schrei zerriss die Stille, als der Lord of the Feast einen Delerium-Pfeil spannte und auf sie schoss. Der Pfeil zischte durch die Luft, verfehlte Funkenflug nur um Haaresbreite und schlug mit einem ohrenbetäubenden Knall in eine der Marmorsäulen, die in einer Wolke aus Splittern zerbarst.

Der Kampf entbrannte. Die Darkk Lyres tanzten um den kolossalen Gegner, jeder ihrer Schläge, jeder Zauber ein Versuch, ihn zu Fall zu bringen. Funkenflug, flink wie ein Schatten, versuchte immer wieder, den Rücken der Bestie zu erreichen, doch der Lord of the Feast war unheimlich schnell und wendig, trotz seiner Größe. Thamanea war unermüdlich in ihrer Heilmagie, ihre Hände leuchteten, als sie die Wunden ihrer Gefährten versorgte, doch die Bestie schien unaufhaltsam.

Noita entlud arkane Blitze, während Crois seinen neuen Rang mit Mut und Entschlossenheit unter Beweis stellte. Der Lärm des Kampfes füllte die Kathedrale – das Krachen von Schwertern auf Rüstung, das Aufheulen der Garmyr und das Knirschen von gebrochenem Stein.

Letztlich war es Drexel, der mit präziser Kaltblütigkeit den entscheidenden Schuss abgab. Sein Bolzen durchbohrte die Brust des Lords und ließ die gewaltige Bestie erzittern. Mit einem wütenden Brüllen sank der Lord of the Feast zu Boden, während seine Krallen vergeblich den Marmorboden der Kathedrale durchfurchten.

Doch der Sieg hatte seinen Preis. Noita, die während des Kampfes zu oft dem giftigen Einfluss des Deleriums ausgesetzt war, spürte, wie ihr Körper gegen sie rebellierte. Ihre Haut begann, sich abzuschälen, als hätte das Delerium einen unauslöschlichen Fluch auf sie gelegt. Das Fleisch darunter begann sich in zähe Fäden aufzulösen, und ein schneidender Schmerz durchfuhr sie. Mit einem Schrei ging sie zu Boden, ihre Hände griffen ins Leere, bevor sie das Bewusstsein verlor.

„Noita!“ rief Thamanea und war sofort an ihrer Seite, doch die Kontamination war zu stark. Drexel und Crois standen um sie herum, ihre Gesichter von Sorge gezeichnet, während Funkenflug wachsam blieb, auf jeden Garmyr lauernd, der sich noch in den Schatten verbergen könnte.

Die Schlacht um die Kathedrale war gewonnen, doch in den Ruinen von Drakkenheim war jeder Sieg vergänglich – und jeder Triumph kostete mehr, als die Helden bereit waren zu zahlen.

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