Session 28 – Im Bann des Deleriumherzens

Der Krater hüllte sich in Schweigen, abgesehen vom dumpfen Summen des Deleriumherzens, das noch immer in der Nähe leuchtete und die Luft mit einem unheimlichen, pulsierenden Licht erfüllte. Crois stand benommen da, seine Augen noch immer vernebelt von der Vision, die ihn heimgesucht hatte. Noita zerrte ihn am Arm und sprach drängend auf ihn ein.

„Crois, wir müssen gehen! Das Herz wird sie noch weiter ins Chaos reißen, wenn wir nicht sofort aufbrechen!“ Ihre Stimme bebte vor Sorge. Thamanea und Funkenflug standen immer noch da, starr und ausdruckslos wie leere Hüllen, ihre Augen glasig, als ob ihre Seelen hinter einer undurchdringlichen Mauer aus Wahnsinn gefangen wären.

Crois nickte schließlich, seine Gedanken noch ein Trümmerfeld, aber er zwang sich, klar zu denken. Gemeinsam zogen sie Thamanea und Funkenflug fort, ihre Bewegungen mechanisch, doch sie folgten ihnen wie treue, aber gebrochene Hunde.

In der Nähe des Deleriumherzens entdeckten sie, was sie suchten: eine reine Deleriumgeode, verborgen zwischen den Trümmern und verstreuten Scherben. Der Kristall funkelte in einem hypnotischen Farbenspiel, ein Schatz von unschätzbarem Wert, aber auch ein potenzieller Fluch. Vorsichtig und mit leuchtenden Augen begannen sie, die Geode abzubauen, ihre Werkzeuge fast zärtlich auf dem glatten, eiskalten Stein. Gemeinsam verstauten sie den Kristall in ihrem nimmervollen Beutel.

„Das war’s. Jetzt raus hier“, flüsterte Crois und blickte um sich. Die Nebel schienen dichter zu werden, als ob sie sich um sie herum zusammenzogen und den Fluchtweg verschleierten.

Mit Thamanea und Funkenflug, die wie Schatten ihrer selbst hinter ihnen her stolperten, machten sie sich auf den Weg aus dem Krater, kämpften sich den Abhang hinauf. Doch der Weg hinaus war beschwerlich, und der Nebel wirbelte und formte dichte Schwaden, die die Sicht nahezu komplett nahmen.

Es war nicht lange, bis das Echo eines grotesken, feuchten Schmatzens durch die neblige Stille drang. Dann kam das Geräusch eines widerlichen, gurgelnden Gelächters, das von überall und nirgendwo zugleich zu kommen schien. Eine Horde von Abscheulichkeiten kroch über den Boden des Kraters auf sie zu. Ihre Körper waren ein Albtraum aus gequältem Fleisch, ein wabernder Haufen aus zuckenden Muskeln, kreischenden Mündern und verdrehten, gierigen Armen. Augen, die unregelmäßig an ihren Körpern sprossen, rollten und starrten die Gruppe an, und ihre unförmigen, klumpigen Leiber bewegten sich in einer kriechenden, schleimigen Welle, die sich durch den Nebel schob.

„Götter, was sind das für Ungeheuer?“ murmelte Crois, während er seine Gleve zog, der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Thamanea und Funkenflug, obwohl sie noch in ihrer geistlosen Trance waren, reagierten auf die Befehle von Noita, und ihre Bewegungen wurden wieder etwas fokussierter. Die beiden zogen ihre Waffen und stellten sich schützend an die Flanken von Crois und Noita.

Die Kreaturen griffen an, ihre unzähligen Münde speichelten und schnatterten, während sie sich in grotesken Wellen auf die Gruppe stürzten. Ihre Zähne blitzten, und sie versuchten, sich an alles Lebendige zu klammern, das ihnen zu nahe kam. Crois’ Gleve blitzte auf, und er schaffte es, einen der Leiber aufzuschlitzen. Doch das Ding zuckte und spannte sich, seine fleischigen Auswüchse griffen nach ihm, während ein anderer schmatzender Albtraum versuchte, Noita zu umschlingen.

„Zurück!“ schrie Noita und entfaltete eine Welle aus magischer Energie, die wie ein unsichtbarer Windstoß durch die Angreifer fuhr und einige von ihnen zurückschleuderte. Doch die Monster wichen nicht. Sie rollten und krabbelten, verdrehten sich in ihren amorphen Körpern und setzten erneut an, krochen sogar über die felsigen Wände des Kraters, um von oben anzugreifen.

Mit Mühe und vereinten Kräften gelang es ihnen, die Abscheulichkeiten zurückzuschlagen. Thamanea und Funkenflug, in ihrem trancehaften Zustand, kämpften wie Maschinen, ihre Bewegungen kalt und präzise, auch wenn ihre Augen leer blieben. Crois und Noita übernahmen die Führung, schnitten sich durch das wabernde Fleisch und das blutige Gewebe, bis sie schließlich die letzten Ungeheuer in einer Wolke aus faulig riechendem Blut und Rauch vernichteten.

Schwer atmend und mit Verletzungen übersät, machten sie sich weiter auf den Weg, kämpften gegen die Dichte des Nebels, der ihre Schritte zu verschlingen schien. Doch die Gefahr war noch nicht vorbei.

Ein tiefes Grollen, das aus den Tiefen des Kraters kam, ließ den Boden unter ihnen erzittern. Zwischen den Nebelschwaden erhob sich eine titanische Gestalt – ein mutierter Riese, dessen Körper von Deleriumsplittern durchzogen war, die wie gleißende Stacheln aus seinem Fleisch ragten. Seine Augen leuchteten in einem kranken Grün, und aus seiner Kehle drang ein wütendes Brüllen, das den Nebel zu zerreißen schien. Die Kreatur war gigantisch, ein Wesen von unnatürlicher Macht, dessen Muskeln mit arkaner Energie pulsierten, und deren Haut an manchen Stellen geschmolzen und von kristallinen Auswüchsen durchbrochen war.

„Lauft!“, schrie Crois, aber der Riese war schneller, und mit einem gewaltigen Schritt stand er über ihnen, sein langer Arm, an dem Brocken von Gestein und Deleriumsplittern klebten, krachte nieder. Crois schaffte es gerade noch, Thamanea zur Seite zu reißen, bevor der Schlag den Boden zerschmetterte.

Noita wirkte einen Zauber, doch der Nebel, der den Riesen umhüllte und seine massige Gestalt verschmolz mit der wirbelnden Magie. Mit einem Satz sprang die Kreatur wieder auf sie zu, und sie waren gezwungen, sich mit vereinten Kräften gegen das Monster zu stellen.

Es war ein erbitterter Kampf. Der Riese war schnell für seine Größe, und seine Angriffe waren tödlich. Funkenflug geriet unter einen von seinen mächtigen Schlägen, und wäre Noita nicht rechtzeitig eingeschritten, wäre er in den massiven Händen des Monsters zerschmettert worden. Crois rammte seine Gleve in das verdorbene Fleisch, versuchte, die Deleriumsplitter zu durchtrennen, doch die Kreatur heilte rasch, regenerierte ihre Wunden im dichten Nebel.

Schließlich gelang es ihnen, mit einer letzten gemeinsamen Anstrengung, den Riesen zu Fall zu bringen. Noita konzentrierte sich und beschwor eine Kettenblitz-Attacke, die die Kreatur durchzuckte und die Splitter in ihrem Körper zum Leuchten brachte, bis sie explodierten. Der Riese fiel, seine Glieder zuckten, und sein Leben erlosch, doch die Gruppe stand am Rande ihrer Kräfte.

„Wir müssen raus“, flüsterte Noita und spürte, wie ihre Magie schwächer wurde. Die schützende Barriere gegen den Deep Haze begann zu flackern. „Der Nebel… Er wird bald durchdringen.“

Sie kämpften sich durch die letzten Meter, und gerade als die Barriere in einem Funkenregen erlosch, schafften sie es, den Rand des Kraters zu erreichen. In der Ferne zeichnete sich die Garnison der Hooded Lanterns ab, und sie wussten, dass sie sich beeilen mussten, wenn sie nicht im Wahnsinn des Deep Haze verloren gehen wollten.


Der schmale Korridor der Garnison der Hooded Lanterns erstreckte sich vor ihnen, spärlich beleuchtet von Fackeln, deren Licht an den feuchten Steinwänden zitterte. Der Dunst des Deep Haze hing noch in ihren Kleidern. Funkenflug und Thamanea folgten Crois und Noita, ihre Blicke noch immer leer und geisterhaft, während sie den Weg zu Cal Grices Zelle suchten.

Als die Gruppe eintrat, hob Cal den Blick und seufzte schwer, als er den Zustand von Thamanea und Funkenflug sah. „Verdammt, ihr seht noch schlimmer aus als das letzte Mal!“, fluchte der zwergische Heiler und zog sich ein paar Lederhandschuhe über, bevor er Funkenflugs Augenlider hochzog und in seine Pupillen blickte. „Diese Art von Wahnsinn geht tiefer als jede Krankheit. Es ist, als ob ihre Seelen selbst berührt wurden.“

Crois spürte, wie sich große Sorge in seinem Brustkorb breit machte. „Kannst du ihnen helfen? Wir haben bereits so viel verloren…“

Cal schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe Heilzauber, die den Körper von Giften reinigen und das Blut klären können, aber das hier… Es ist etwas anderes. Der Einfluss des Haze sitzt tief, zu tief.“

Doch während er sprach, fiel sein Blick auf die Gebetskette um Thamaneas Hals. Cal griff vorsichtig nach der Kette, seine Augen verengten sich, und er begann, leise zu murmeln, als ob er sich auf eine entfernte Melodie einstimmte.

„Diese Kette… Sie hat etwas an sich“, sagte er und schloss die Augen, seine Hände fest um den Anhänger gelegt. „Ein Echo von Hoffnung, ein Rest von Veränderungsmagie.“ Seine Stimme klang fern, als ob er in einen tiefen Trancezustand glitt. Eine warme, goldene Aura umhüllte die Kette, die auf Thamaneas Brust lag, und als Cal das letzte Wort sprach, strömte ein sanftes, helles Licht von ihr aus. Es war, als ob das Licht durch ihre Adern floss und die Dunkelheit aus ihrem Inneren vertrieb.

Thamanea blinzelte, als ob sie aus einem tiefen Schlaf erwachte, und ihre Augen, die zuvor leer und unendlich fern gewesen waren, füllten sich langsam wieder mit Bewusstsein und Klarheit. „Was… was ist passiert?“ flüsterte sie, ihre Stimme brüchig.

„Du warst weit weg, aber du bist zurück“, sagte Cal, der nun wieder bei klarem Verstand war, und lächelte schwach. „Diese Kette ist ein Segen für dich, Mädchen.“

Nun, da Thamanea geheilt war, wandte sie sich Funkenflug zu. Sie legte ihm die Hand auf die Stirn und murmelte leise die Formel für einen Heilzauber. Ein kalter, silberner Nebel formte sich um ihre Finger, bevor er sich wie ein sanfter Atemzug auf Funkenflugs Haut legte. Langsam füllte sich auch in seinen Augen wieder Leben, und der Wahnsinn wich einem klaren, verwirrten Blick.

Die Nacht in der Garnison verging in einer drückenden Stille, unterbrochen nur von dem gelegentlichen Geräusch des Windes, der gegen die dicken Mauern pfiff. Die Dunkelheit der vergangenen Ereignisse schien schwer auf ihren Schultern zu lasten, und auch der Schlaf brachte ihnen keine wirkliche Erholung, nur eine flüchtige Pause von den Schrecken, die sie noch verfolgten.

Am nächsten Morgen wartete Drexel im Turm der Garnison auf sie, in dem Besprechungsraum, dessen Fenster ins Morgengrauen hinausblickten. Die Silhouette des Mannes, kräftig und grimmig wie immer, zeichnete sich gegen das fahle Licht ab, das durch das Fenster sickerte.

„Guten Morgen, Darkk Lyres“, begann er mit einem Nicken. „Ich habe Berichte von meinen Spähern erhalten. Buckledown Row scheint sich zu rühren.“

„Was habt ihr herausgefunden?“ fragte Crois, dessen Augen misstrauisch funkelten.

Drexel lehnte sich zurück, sein Blick ernst. „Die Späher haben die Bewegungen der Banden der Queen’s Men beobachtet. Buckledown Row ist unruhig, mehr als gewöhnlich. Es scheint, dass etwas Großes im Gange ist. Wir vermuten, dass es mit der Queen of Thieves und dem Verschwinden von Königin Lenore zusammenhängt.“

Ein kaltes Schaudern lief Crois über den Rücken. „Wenn sie tatsächlich dort ist, was ist unser nächster Schritt?“

„Noch sammeln wir Informationen“, antwortete Drexel, „aber wir müssen vorsichtig vorgehen. Die Banden haben Buckledown Row in eine Festung verwandelt. Ein offener Angriff wäre Selbstmord.“

Die Gruppe nickte. Das Wissen um die Gefahr ließ die Stimmung im Raum schwerer werden, als die ersten Strahlen der Morgensonne durch die Nebel barsten und das Licht in schiefen Bahnen über den Tisch warfen.

Später am Tag verließen die Darkk Lyres die Garnison und brachen nach Emberwood auf. Die Stadt lag in einem düsteren Dämmerlicht, als sie eintrafen, und die Straßen waren mit einer Mischung aus Nässe und Schmutz überzogen. Sie begaben sich zum Red Lion Hotel, einem Ort, an dem sie schon öfter Unterschlupf gefunden hatten. Eldrick wartete dort bereits in seinem Studierzimmer auf sie.

Als sie sich setzten, musterte Eldrick Crois mit scharfen Augen. „Also, erzählt. Was habt ihr gefunden?“

Crois erzählte von dem Krater, dem tiefen Nebel und der Vision, die ihn heimgesucht hatte. Eldricks Interesse war geweckt; er stellte viele Fragen, seine Finger trommelten ungeduldig auf dem Tisch, während seine Augen vor Neugier brannten.

„Das Deleriumherz“, murmelte er, „die Energie, die es ausstrahlt, ist gewaltig. Es ist, als ob es selbst ein lebendes Wesen wäre.“ Er lehnte sich zurück und musterte Crois. „Und ihr habt die reine Deleriumgeode dabei?“

Noita nickte und zog den nimmervollen Beutel hervor, aus dem Eldrick die Geode vorsichtig entnahm. Das Licht im Raum schien sich in den Facetten des Kristalls zu brechen und zu tanzen. Eldricks Miene wurde nachdenklich, fast ehrfürchtig.

„Mit dieser Geode“, erklärte er, „werden wir ein magisches Relais herstellen. Ein Apparat, der die Energie des Deleriumherzens bündeln und kanalisieren kann. Die Akademie plant, diese Energie zu nutzen, um das Nexus im Inscrutable Tower neu zu betreiben.“

Noita runzelte die Stirn. „Ihr wollt, dass wir das Relais am Deleriumherz platzieren, nicht wahr?“

Eldrick nickte. „Genau. Es wird einige Zeit dauern, bis wir das Relais fertigstellen, aber sobald es bereit ist, werdet ihr es zurück zum Krater bringen müssen. Es ist eine riskante Aufgabe, aber ohne euch ist das Projekt zum Scheitern verurteilt.“

Am nächsten Morgen erhielten die Darkk Lyres das Relais, ein Gerät aus verschlungenem Metall und leuchtenden Kristallen, das in einem speziell gesicherten Behälter ruhte. Mit dem Relais im Gepäck machten sie sich auf, ein weiteres Mal zum Krater in Drakkenheim aufzubrechen, doch es war nicht das Deleriumherz das sie suchten. Es gab noch etwas anderes, um das sie sich kümmern mussten.

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