Die Gruppe schlich durch den dunklen Gang der Bibliothek bei Nacht. Die Bücher, die sie stichprobenartig kontrollierten, hatten herkömmliche Inhalte: Mathematik, Agrarwissenschaften, Botanik.
Weiter vorstoßend, kamen sie zu einem Atrium, in dem eine Aarakokra mit einem verkrüppeltem Flügel tief in die Nacht an ihren Texten arbeitete. Mit dem fahlen Kerzenlicht an ihrem Pult bemerkte sie nicht, wie Seraphina und Basteth an ihr vorbei in den anderen Flügel huschten, um die Bücher dort unter die Lupe zu nehmen. Dabei erhaschten sie im Atrium eine Tür, die sich neben der großen, hölzernen Wendeltreppe befand.
Basteth fand ein knallbuntes Kinderbuch (und lieh es unbefristet aus), Ethan einen Band über das Ende des Krieges:
Während der Krieg zwischen dem Chor und den Dämonen tobte, stand das mächtigste Engel, das als Splitter des Lichts bekannt ist, an vorderster Front der Schlacht. Seine Macht war unübertroffen, Seine Stärke unnachgiebig, und Es versetzte die Herzen der Dämonen in Angst und Schrecken.
In einem letzten Kampf, der die Welt in ihren Grundfesten erschütterte, trat Es gegen den Dämonenfürsten an, ein Wesen aus purer Bosheit und Hass. Das Klirren ihrer Waffen hallte über das Land, und der Himmel verdunkelte sich, als die beiden Titanen kämpften.
Es kämpfte mit aller Macht, doch der Dämonenfürst war ein gerissener Gegner, der dunkle Magie einsetzte, um das Wesen der Welt zu verdrehen und zu verderben. Der Kampf wütete tagelang, und keine Seite konnte die Oberhand gewinnen.
Schließlich, am siebten Tag des Kampfes, versetzte Es dem Dämonenlord einen mächtigen Schlag, der dessen Rüstung zerbrach und sein Herz durchbohrte. Mit einem letzten Schrei der Wut und des Schmerzes wurde der Dämonenlord besiegt und seine Essenz vernichtet.
Und so ging der Splitter des Lichts als Sieger aus der letzten Schlacht hervor, allerdings nicht ohne einen verheerenden Preis. Es waren nur noch 15 Engel übrig, vernarbt und erschöpft vom Krieg, die die Scherben der zerstörten Welt aufsammeln mussten.
Aus den Trümmern des Schlachtfelds schmiedeten sie eine Stadt, ein Leuchtfeuer der Hoffnung in einer für immer veränderten Welt. Und so wurde Eskerrati, die Stadt der 15 Engel, geboren.
Virmak erkannte schnell, dass die Gruppe hier nicht fündig werden würde. Obskure Texte über verbotene Rituale würden sich nicht in dem öffentlich zugänglichen Teil der Bibliothek befinden. Er teilte dies Ethan mit, worauf dieser mit seinem leuchtenden Schwert Seraphina zuwinkte, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
Dies erregte die Aufmerksamkeit der Aarakokra, die sich sogleich erhob und in Richtung von Ethan und Virmak trottete, ohne die zwei jedoch zu entdecken. Basteth und Seraphina nutzten diese Gelegenheit, um mit Eile die zuvor entdeckte Tür zu öffnen, und den Raum dahinter zu betreten. Sie fanden sich im der Besenkammer wieder, die aber auch als Pausenraum genutzt wurde. Aus diesem führten zwei Treppen, eine in die zwei höher liegenden Stockwerke, sowie eine nach unten. Letzterer folgend fanden sie sich in einem länglichen Gang mit sieben Türen wieder, an dessen Ende sich das Büro von Ramo Gelhaar befand.
In diesem fanden sie zweierlei: Einen Aufruf der Kirche nach reinem Silber, als Teil der verzweifelten Bemühungen der Kirche, das Leben von Päpstin Hyacinth zu retten – sowie einen persönlich an Ramo adressierten Brief:
Liebster Bruder, ich hoffe, dein Husten hat sich wieder gelegt. Achte darauf, viel zu trinken, Obst zu essen und auch mal raus an die frische Luft zu gehen, du Kellerassel! Wie geht es Ragor? Meine Aufgabe ist stets kraftraubend. Die Priester nerven wie ein dicker Pickel am Hintern, mit ihren stetigen Intrigen und Anträgen. Aber ich komme zurecht. In zwei Wochen werde ich eine neue Schule einweihen, das wird sicher schön. Ich muss die Rede noch fertig machen… aber ich schweife ab.
Ich habe vor kurzen ein Büchlein in den Katakomben gefunden, das mir den Schlaf raubt. Es beschreibt ein unheiliges Ritual, auf uraltem Pergament geschrieben, doch ist eine Seite entfernt worden, was es leider unbrauchbar macht. Aber selbst die anderen Geheimnisse in diesem Buch sind, gelinde gesagt, unglaublich. Die Implikationen davon rauben mir den Schlaf.
Bitte durchsuche deine Bibliothek nach allen Informtionen, die ein umgekehrtes Dreieck, oder Blei, enthalten. Niemand darf davon erfahren – wie damals, als du aus versehen Mutters Kuchen vom Tisch gefegt hast.
Pass auf dich auf. Es gehen merkwürdige Dinge vor sich.
In Liebe,
Emma.
Emma Gelhaar war der Name von Ramo’s Schwester, bevor sie allen Einwohnern Elians besser als Päpstin Hyacinth bekannt wurde. Der Stempel des Briefes war eine Woche vor dem Zeitpunkt datiert, als die Krankheit der Päpstin öffentlich wurde. Beiden war sofort klar, dass die Seite, die Ethan bei sich trug, gemeint war.
Im Atrium wurden Ethan und Virmak von der Aarakokra gefunden, die sich komplett ohne Angst als Aalgana von den Weißen Bändern vorstellte. Sie identifizierte die beiden sofort als die Personen, die auf dem Steckbrief gesucht wurden, sagte aber im gleichen Atemzug, dass diese Tatsache egal sei. Sie überzeugte die zwei, ihr ihre Version der Dinge darzustellen, aus ihrem Begehren als Historikerin heraus, Wissen zu Papier zu bringen. Zunächst zögernd wichen sie der Frage nach ihren Namen aus, und bevorzugten es stattdessen, die Gruppe einfach ‘Die Suchenden’ zu nennen.
Im Keller zogen die Damen weiter, ins zweite und unterste Kellergeschoss der Bibliothek. Dieser Gang war der Form nach identisch wie der obere, doch wichen die türlosen Wände schon bald nacktem Fels. Der Gang endete in einem massiven Felsquader, der die Dimensionen einer Tür hatte, jedoch keine Klinke, Schlüsselloch oder Scharniere aufwies. Auf Augenhöhe waren vier Metallplatten angebracht, die sich bei einem schnellen Versuch Seraphinas nicht ritzen ließen.
Basteth flüsterte diese Entdeckung ins Ohr von Virmak, der sich noch im Atrium befand. Dieser schöpfte Verdacht, dass es sich bei dem Metall um Adamant handeln könnte, dessen Existenz alter Lehrmeister Neomahl vor vielen Jahren – im betrunkenen Zustand – erwähnt hatte. Ethan und Virmak überredeten Aalgana, ihnen den Schlüssel für die Tür neben der Wendeltreppe zu überlassen – im Gegenzug stimmten sie zu, am Morgen mit Ramo Gelhaar zu sprechen, da Aalgana langsam feststellte, dass diese Sache eine höhere Brisanz hatte, als sie zunächst angenommen hatte.
Im Keller bestätigte sich der Verdacht von Virmak: Die Platten waren tatsächlich Adamant – und die Tür erwehrte sich jedem Versuch, sie mit Gewalt zu öffnen. Bei einem der Versuche drückten Virmak – dieser mit Handschuhen – und Ethan gegen die Platten. Als sie wieder abließen, leuchteten die Handabdrücke von Ethan in einem fahlen Licht noch kurz auf, bevor sie verblassten.
Die ‘Suchenden’ stellten schnell fest, dass alle Hände von ihnen Abbilder hinterließen – bis auf die von Seraphina. Sie deuteten dies als einen Test der Gesinnung, für die sie Hilfe brauchen würden. So gingen sie wieder zurück ins Atrium, wo sie sich damit beschäftigten, Aalgana bei ihrer Arbeit zu helfen. Basteth schlich sich gänzlich aus der Bibliothek und verbrachte die letzten Nachtstunden in der Linde vor der Stadt, mit der Idee, im Falle eines Falles als Außenstehende agieren zu können.
Der Morgen kam und die Gruppe wurde vom Goliath Lorna Shore geweckt, der die Gewohnheiten von Aalgana kannte und die anderen drei Mitglieder der Gruppe kaum beachtete. Es gab ein spärliches Frühstück aus Kaffee und Keksen, bis nach einer Stunde Ramo Gelhaar pünktlich die Bibliothek betrat. Auch er erkannte die Gesichter von den Steckbriefen, zeigte sich deswegen aber ebenfalls ruhig.
Schnell wurde klar, dass das Gespräch nicht im öffentlichen Atrium geführt werden sollte, und er bat die drei in sein Büro. Er war nicht begeistert davon, dass die Gruppe sein persönliches Büro durchsucht hatten, schob diese Emotionen jedoch zur Seite, weil die Suchenden kostbare Informationen für ihn hatten. Im Gegenzug musste er zähneknirschend zugeben, dass von seinen Vorgängern oder dem Klerus das gesuchte Wissen schon lange aus der Bibliothek entfernt worden war.
Er lies Aalgana holen, um das Gespräch zu protokollieren. Diese wiederum drehte sich im Atrium, mit einem Fuß tappend, zu Basteth um. Sie hatte sich zwar verkleidet zurück ins Atrium gesetzt, doch als dort sanft Musik spielende Tabaxi passte sie nur allzu gut auf das Profil im Steckbrief. Grummelnd erhob sich Basteth und als komplette Gruppe erzählten sie Ramo in seinem Büro die Geschichte, so wie sie bislang geschehen war.
Ramo’s Augen verrieten nicht, was er wirklich dachte, aber er schlug den Suchenden einen Handel vor: Er würde die Seite aus dem Buch bekommen, und die Gruppe würde danach nach reinem Silber suchen, für das die Kirche 7000gp ausgelobt hatte. Dieses könnten sie behalten. Im Gegenzug würde er die Fahndung nach der Gruppe offiziell beenden lassen, sie bei ihren Forschungen unterstützen und im Keller seine Hand gegen das vierte Paneel der Tür legen.
Als Ramo, Virmak, Ethan und Basteth ihre Hände auf die Platten an der Tür legten, löste ein Mechanismus aus, der langsam die Tür öffnete. Im Raum sahen sie eine natürliche Höhle, in dessen Mitte ein großer Stein halb im Boden steckte, an dem ein Skelett in voller Ausrüstung lag, ein Stück Papier in den Händen. Auf dem Stein kniete eine äscherne Gestalt mit tiefer Kapuze, von dessen zwei riesigen Flügeln langsam Asche auf den Boden rieselte.