Der Regen, der die Stadt Drakkenheim in eine nebelige Düsternis hüllte, hatte in den vergangenen Tagen nicht nachgelassen. Die Dark Lyres, erschöpft und schwer verwundet von den Mutationen des Deep Haze aus dem Queen’s Park, wurden durch die engen Wendeltreppen zum Lord Commander Elias Drexel im Festungsturm der Garnison geführt. Als sie hinabstiegen, eilten Soldaten der Hooded Lanterns an ihnen vorbei, hastig unterwegs, als sie jemanden rufen hörten: “Bringt mir alle Spiegel, die ihr finden könnt!” Die Worte drangen gedämpft durch den Lärm der umherhuschenden Soldaten.
Drexel empfing sie mit offenen Armen und dankte ihnen für ihre heldenhaften Dienste. Er nahm sie offiziell in die Reihen der Hooded Lanterns auf und überreichte ihnen magische grüne Mäntel mit dem Symbol der Fraktion. “Ihr seid nun ein Scout Team und eure Loyalität wird gebraucht”, erklärte Drexel. “Aber zuerst solltet ihr euch wohlverdient eine Weile ausruhen. Geht zu Cal Grice im Hospitz und lasst euch von ihm behandeln. Ihr habt eine harte Prüfung hinter euch.”
Die Gruppe folgte seinem Rat und begab sich in den Kerker der Festung, der nun als Unterkunft für die Hooded Lanterns diente. Hier fanden die Soldaten Zuflucht vor dem tödlichen Haze der Stadt. Eine größere Zelle war zu einem Hospitz umgebaut worden und wurde von dem zwergischen Priester Cal Grice geführt, den Thamanea, Crois und Noita bereits vom Sheperd’s Gate kannten.
Als sie das unterirdische Hospitz betraten, empfing Cal sie freundlich. Noita, erschöpft von den Strapazen, ließ sich als Erste von ihm behandeln, während Crois und Thamanea ihre Hilfe anboten. Die Wunden und Mutationen der Gruppe waren schwerwiegend. Besonders Crois’ Haut war durch die Mutationen verändert und fühlte sich an wie steinige Chitinplatten. Die Mutationen hatten seine Haut derart verändert, sodass sie hart wie Stein und so rissig wie trockene Wüstenerde geworden war. Er war sich unsicher, ob er sich behandeln lassen sollte, denn diese Veränderung verlieh ihm eine natürliche Resistenz. Auf Wunsch von Crois untersuchte Cal die Haut genauer. Unter unerträglichen Schmerzen entfernte er ein Stück dieser Platten am Unterarm des ehemaligen Soldaten aus dem Bürgerkrieg. Crois biss auf ein Stück Holz und war mit Lederriemen an der Liege festgebunden. Cal untersuchte die Probe und konnte Crois folgendes mitteilen: “Die Expositionsrate deiner veränderten Haut beträgt 1/20. Es ist möglich, dass sie dich in unbestimmbarer Zeit am ganzen Körper versteifen lässt, was zu einem qualvollen Tod führen könnte. Andererseits wird diese Mutation durch die Expositionsrate sehr langsam wachsen.” Crois haderte mit sich selbst, doch schließlich ließ er sich von Cal unter der Hilfe von Thamanea behandeln. Sie konnten die veränderte Haut wieder heilen. Danach wurde Thamanea behandelt, wobei sie sogar selbst mithalf.
Die Nacht verstrich und Noita fand keinen Schlaf. In ihren Träumen erschien ihr der Pale Man an ihrer Krankenliege. Er sah ihren schlechten Zustand und erinnerte sich an die Zeit, als er sie vor vielen Jahren selbst behandelt hatte. Doch Noita konnte sich nicht an diese Begegnung erinnern. Der Pale Man schenkte ihr seine Erinnerungen an damals, und sie wurden zu einer Flut aus wirren und verängstigenden Gedanken. Danach verschwand er wieder. Noita konnte nicht mehr schlafen und versank in Trauer und Wut. Sie verließ die Unterkünfte und harrte bis zum Morgengrauen im Regen der Garnison aus. Sie versank in ihren neu gewonnenen Erinnerungen.
Am nächsten Morgen suchten Thamanea und Crois nach ihr und fanden sie von Tränen überströmt und die Kleidung durchnässt auf dem Gelände der Garnison. Noita konnte die schwere Last ihrer Vergangenheit nicht abschütteln.
Mit zitternden Händen und einem schweren Seufzen begann Noita ihre Geschichte zu erzählen. Sie sprach leise, als ob die Worte nur für ihre Ohren bestimmt wären, während ihre Augen in die Ferne blickten, als würden sie in vergangene Zeiten reisen.
“Es begann in unserem kleinen Dorf in Daisendorf”, begann Noita. “Eine mysteriöse Krankheit brach aus und riss meine Eltern und unseren Grundbesitz fort. Ich war damals gerade elf Jahre alt, und mein Bruder Rutto war 14. Wir waren nicht verschont von dieser Plage, und manche im Dorf erzählten sich Geschichten über einen Meteoriten, der in Drakkenheim eingeschlagen sei und diese Krankheit ausgelöst habe. Rutto sagte immer, dass das nur dumme Ammenmärchen seien und dass unser Dorf viel zu weit weg sei, um von einem Meteoriten betroffen zu sein.”
Sie machte eine kurze Pause und blickte auf ihre Hände, die sich zu Fäusten ballten. “Eines Tages verloren wir das Bewusstsein und erwachten in einem stickigen Keller. Die Wände waren nass, und es war dunkel. Ich kann mich nicht viel daran erinnern, außer dass ich immer wieder eingeschlafen bin. Manchmal kam ein Mann mit einer Pestmaske herein und spritzte uns irgendwelche Substanzen. Ich weiß nicht, wie lange wir dort gefangen waren. Die Zeit verschwamm in der Dunkelheit.”
Noitas Stimme wurde leiser, als sie weitererzählte: “Ich wusste, dass ich nicht mehr lange überleben würde. Meine Finger fühlten sich steif an, meine Beine wurden kälter. In meinen Gedanken kam meine Kindheit zurück, wie ich mit Stöcken durch den Garten rannte und mich mit den Nachbarskindern in Schwertkämpfen übte. Und mein Bruder, er verbrachte seine Kindheit damit, zu lesen und alles Wissenswerte über die Welt zu lernen. Meine Eltern, die immer nur das Beste für uns wollten.” Ein kleines Lächeln huschte über Noitas Gesicht, als sie sich an die vielen Streiche erinnerte, die sie ihren Eltern und ihrem Bruder gespielt hatte. “Ich war wirklich kein einfaches Kind”, flüsterte sie.
“Als ich meinen Bruder ansah, hoffte ich, er würde mir helfen können”, fuhr Noita fort, ihre Stimme brach beinahe. “Aber er saß gefesselt auf einem Stuhl, umgeben von medizinischen Geräten und Schläuchen. Der Mann mit der Pestmaske wusste, dass ich bald sterben würde. Er hat mich von meinen Fesseln befreit, aber ich hatte keine Kraft mehr, mich zu bewegen. Meine Gliedmaßen wurden immer kälter, und meine Augen schlossen sich langsam.”
Die Erinnerungen schienen Noita zu überwältigen, als sie weitersprach: “Und dann sah ich eine Kreatur, eine übergroße humanoide Krähe mit gebleichten Federn. Sie sah mich an, nicht meinen leblosen Körper, sondern meine Seele. Ich zögerte, aber ich nahm ihre Hand. Dann löste sie sich in einer Wolke aus Rabenfedern auf, und mir wurde schwarz vor Augen.”
Noitas Stimme bebte, als sie ihre Erzählung fortsetzte: “Einige Momente später, oder zumindest fühlte es sich so an, hörte ich die panische Stimme meines Bruders. Ich wachte leicht benommen auf und sah ihn bei mir. Ich hatte das Gefühl, dass ich gestorben war, doch etwas war anders. Meine Narben und Wunden von der Krankheit waren verschwunden, aber meine Haut wurde beinahe bleich, und meine Augen glänzten in einem Orange.”
Sie machte eine Pause, um ihre Gedanken zu ordnen, bevor sie ihren Freunden in die Augen blickte und ihre düstere Vergangenheit offenbarte. “Seit meiner Auferstehung, wie ich es für mich selbst nenne, werde ich von Schlafparalysen gequält. Es ist ein wach-schlafähnlicher Zustand, in dem sich Traum und Realität vermischen. Und ich habe Visionen von diesem Pale Man, aber ich kann mich nicht erinnern, wer er ist oder was er von mir will. Ich bin an ihn gebunden, aber ich habe keine Angst vor ihm. Es ist, als würde er mir helfen wollen.”
Die Dunkelheit in Noitas Augen spiegelte die schweren Erinnerungen wider. “Das ist meine Vergangenheit, die ich mit mir trage”, flüsterte sie, “eine Vergangenheit, die ich erst noch verstehen muss.”
Thamanea und Crois fanden lange Zeit keine Worte. Die beiden versuchten, sie aufzumuntern, und gemeinsam gingen sie zu den Barracken, um ein Frühstück einzunehmen, unter all den anderen Rangern und Soldaten der Hooded Lanterns, die hier ihren Dienst begannen.
Während des Frühstücks begrüßte sie ein bekanntes Gesicht: Alicia Martell, die junge Rekrutin aus Emberwood. Sie war nun in der Garnison stationiert und nutzte die Gelegenheit Crois noch einmal für seine Lektion zu danken.
Die Gruppe beschloss, den Tag bei der Garnison zu verbringen, um sich weiter zu erholen. Thamanea half den ganzen Tag über bei Cal im Hospitz, Crois unterstützte beim Training und der Kampfausbildung, während Noita im Festungsturm ihre neuen Zauber studierte. Im Laufe des Tages schnappte Noita ein Gerücht im Turm auf: Ein Scout Team der Hooded Lanterns war in den Abwasserkanälen von Drakkenheim unterwegs, als sie auf freundliche Fischwesen stießen, die ihnen sogar halfen, sich im Abwasserlabyrinth zurechtzufinden.
Am nächsten Tag klarte das Wetter auf, und einige Sonnenstrahlen zeigten sich am Horizont. Die Gruppe machte sich auf zum Sheperd’s Gate, um die Vorräte von Raine Highlash abzuholen. Mit den Vorräten im Gepäck begannen sie eine Expedition zum Market Square Plaza, um die geheimen Vorratslager der Hooded Lanterns aufzustocken.
Die Reise führte sie durch verlassene Gassen und düstere Plätze, von denen die Einwohner längst geflohen waren. Das Haze lag noch immer über der Stadt, doch die Gruppe ließ sich nicht entmutigen, die Vorratslager zu finden und aufzustocken.
In der Gildenhalle angekommen, stiegen sie in den Keller hinab und stellten sich den geplagten Geistern, die dort ihr Unwesen trieben. Nach einem erbitterten Kampf gelang es ihnen, die Geister zu besiegen. Und als Belohnung fanden sie einige vergessene Tresore voll mit dem Gold der Gilden von Drakkenheim, die hier zurückgelassen worden waren. Doch der bedeutendste Fund war ein Bauplan von Castle Drakken, der ihnen in Zukunft von großem Nutzen sein konnte. Zudem entdeckte Noita in den Aufzeichnungen der Gildenhalle Informationen über den Slaughterstone Square und die Old Town Cistern, die für ihre weitere Reise von Bedeutung sein würden.
Nachdem sie ihre Vorräte aufgestockt hatten und mit wertvollen Informationen aus der Gildenhalle zurückkehrten, beschlossen sie, von der Garnison aus in den umliegenden Ruinen von Drakkenheim nach Delerium zu suchen. Doch auf ihrer Suche stießen sie auf eine unerwünschte Begegnung, die ihr Glück auf eine harte Probe stellte…